Türkischstämmige Deutschländer
Ein Beitrag von Zahide Özkan-Rashed.
Wir sind Deutschlands Türken, ob traditionell-religiös, mit oder ohne Kopftuch, einfach bis auffällig stylisch, äußerlich erkennbar oder frei von kennzeichnenden Elementen, die reflektorisch eine Zuordnung zu einer nationalen oder religiösen Gruppe bewirken.
Mit beiden Ländern sind wir verbunden.
Die Türkei ist wichtig, denn dort wurden wir, unsere Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern geboren.
Deutschland ist wichtig, denn hier leben wir. Hier ist unser Zuhause, unsere Arbeit, unsere vertraute Umgebung. Hier gehen unsere Kinder zur Schule, machen eine Ausbildung oder studieren, um uns irgendwann in der Arbeitswelt abzulösen und uns allen – ob deutsch - mit oder ohne Migrationshintergrund - oder nicht-deutsch - den Ruhestand zu finanzieren. Hier feiern wir unsere Feste, erfreuen uns aber auch der Lichterpracht an Weihnachten – mehr oder weniger.
Hier spielt sich das alltägliche Leben mit seiner Routine und seinen herausragenden Momenten ab.
Um ganz zu sein, müssen wir beides annehmen. Wir können weder „rein“ deutsch noch „rein“ türkisch sein. In der Türkei sind wir die Deutschländer, hier die Türkei-Stämmigen. Das ist unsere Realität. Eine Realität, die auf eine Geschichte von mehr als fünf Jahrzehnten zurückblickt und mittlerweile in der vierten Generation vertreten ist.
Türkei fühlt sich wie Heimat an, Deutschland bietet uns eine Heimat. Wie sonst würde man ein Land bezeichnen, in dem man sein Leben ganz oder überwiegend verbracht hat, ohne dazu gezwungen zu werden? Mag einer sagen, es sind wirtschaftliche Notwendigkeiten oder Beweggründe. Trotzdem oder um so mehr gilt das türkische Sprichwort: „Memleket dogdugun yer degil, doydugun yerdir“, „Heimat ist nicht dort, wo du geboren wurdest, sondern dort, wo du satt wirst“.
Vielleicht fällt es dem einen oder anderen schwer, Deutschland als seine Heimat zu bezeichnen. Vielleicht ist das auch der springende Punkt. Ein Zuhause zu haben ist nicht unbedingt damit gleichzustellen, sich in einem größeren gesellschaftlichen Kontext willkommen zu fühlen. De facto ändert das nichts an dem Umstand, ein Heim in einem Land zu haben, das folgerichtig zu Heimat wird.
Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass Deutschland auch unsere gefühlte Heimat wird, ohne in Konkurrenz zu unserem türkischen Erbe zu stehen.
Lasst uns als Gesellschaft daran arbeiten, dass in unserem Bildungssystem Kinder wegen ihres Namens nicht benachteiligt werden. Daran, dass sich alle Bürger dieses Landes hier zuhause im Sinne von zugehörig und verantwortlich fühlen. Daran, dass Kopftuch oder andere äußere Merkmale keine inneren Schranken kreieren und zu Distanz führen.
Lasst uns Neugier für das Andere entwickeln und es zur Erweiterung unseres Horizonts nutzen. Erst die Begegnung kann uns helfen, das Bedrohliche am Fremden zu überwinden, ohne Angst vor Selbstverlust und Überfremdung zu haben. Nicht Uniformität, sondern Vielfalt ist in dieser von Globalisierung und digitaler Vernetzung geprägten Welt erstrebenswert. Nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander ist gefragt angesichts der Herausforderungen unserer Zeit. Erst wenn Frieden in unserem Herzen herrscht, gegenseitige Achtung und Toleranz gelebt werden, kann Frieden auf der Welt etabliert werden. Und das ist unser aller Verantwortung – egal wo und wer wir sind, ob Deutsch-Türke oder Deutsch-Deutscher oder was ganz Anderes.
Ursula Sezgin
Danke, liebe Zahide, für Deine warmherzigen und klugen Worte.
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