Glaubenswechsel (Konversion)

Religion als Therapie?

Wissenschaftler versuchen herauszufinden, warum sich Menschen den Religionen wieder stärker zuwenden, und geben erstaunlich rationale Erklärungen.

Von Katrin Zinoun

Die Menschen sind auf der Suche. Sie suchen einen Sinn im Leben, nach Werten, nach Orientierung. In der immer schneller werdenden vernetzten Welt, in der es scheinbar keinen festen Bezugspunkt mehr gibt, suchen die Menschen Halt. Dabei spielen alle Religionen wieder eine stärkere Rolle. Nicht nur die „fremden” außereuropäischen Religionen wie Islam, Buddhismus oder Hinduismus, sondern auch die institutionalisierten Religionen wie das Christentum gewinnen wieder an Bedeutung. Die Konvertiten sind in allen sozialen Schichten zu finden. Stars bekennen sich genauso zu einer Religion wie der durchschnittliche Arbeiter. Auf der einen Seite werden die neuen Gläubigen vielleicht bewundert, von anderen eventuell auch belächelt. Auf der anderen Seite ist man befremdet von den neu Bekehrten, oder man hat sogar Angst vor den Konvertiten. Aber wer sind die Konvertiten tatsächlich? Wissenschaftsdisziplinen, wie zum Beispiel Soziologie oder Religionspsychologie setzen sich differenziert mit dem Phänomen der Konversionen auseinander. Die Konversionsforschung interessiert sich dabei vor allem für die Motive und Ursachen der Konversion.

Konvertit oder nur Mitglied?

Eine Unterscheidung, die man zunächst treffen sollte, ist die der Konversion und der neuen Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Man kann zum Beispiel wegen einer Heirat der katholischen, evangelischen, jüdischen oder islamischen Gemeinschaft beitreten, ohne tatsächlich den Glauben anzunehmen. Dies ist eher eine praktische Entscheidung, die mit Konversion an sich nichts zu tun hat. Es gibt keine verlässlichen Zahlen der Konvertiten zum Islam. Genauso wenig, wie Buddhisten oder Anhänger von kleineren Erweckungsgemeinden oder Sekten offiziell erfasst werden. Michael Muhammad Abduh Pfaff, Vorsitzender der Deutschen Muslim Liga, wagt eine Schätzung: „Deutsche Konvertiten, ihre Kinder und Kindeskinder gibt es etwa 80.000. ‚Ethnisch’ Deutsche dürften daher ungefähr 2,5 Prozent aller Muslime in Deutschland sein. Deutsche Konvertiten im eigentlichen Sinne sind circa 36.000.” Pfaff schätzt, dass etwa zwei Drittel der Konvertiten durch Heirat zum Islam gekommen sind. Es seien überwiegend Frauen, die, obwohl keine Notwendigkeit der Konversion für die Eheschließung mit einem Muslim besteht, durch den familiären Kontakt die Religion für sich entdeckt haben. In den letzten Jahren steigt jedoch auch der Prozentsatz der männlichen Konvertiten. Da Männer, die eine Muslima heiraten wollen, zum Islam konvertieren müssen, kann es hierbei vorkommen, dass die Religion nur gewechselt wird, um den Schein zu wahren. „Erfreulicherweise beschäftigen sich viele dieser Männer ernsthaft mit dem Islam. Der Grund, wie jemand zum Islam findet, ist weniger entscheidend. Allah weiß es besser”, sagt Pfaff. Trotz dieser Zuversicht ist es schwierig, eindeutige Aussagen darüber zu machen, inwiefern die neuen Mitglieder der Religionsgemeinschaft tatsächlich als Konvertiten im wissenschaftlichen Sinn zu betrachten sind.
Wie genau kann man nun eine Konversion von der einfachen Mitgliedschaft in einer religiösen Gemeinschaft unterscheiden? Als Konversion kann man einen Prozess des Identitätswandels verstehen, wobei sich die Identität allerdings nicht vollständig verändert, sondern es werden neue und alte Inhalte neu strukturiert. Während die Kulturwissenschaftlerin Monika Wohlrab-Sahr die Konversion als einen radikalen Bruch beschreibt, der eine vollständige Reinterpretation und Reorganisation des Lebens beinhaltet, hat die Religionswissenschaftlerin Maria Baumann in ihren biografischen Interviews mit Konvertitinnen zum Islam auch eine Art religiöse Weiterentwicklung gefunden. Sie schreibt in ihrer Dissertation, die unter dem Titel „Katharina heißt jetzt Ayse. Wege deutscher Frauen zum Islam.” erschienen ist: „Dennoch ist für sie das Christentum Teil ihrer Religion als älterer und zeitlich davor liegender Heilsweg, der nach muslimischem Verständnis nach Gottes Willen im Islam seine Vollendung findet – Islam als ‚Update des Christentums’.” Wie sehr sich die Forschungsansätze auch unterscheiden mögen, alle sind sich weitgehend darin einig, dass durch die Konversion keine völlig neue Person entsteht, sondern alte und neue Inhalte neu geordnet und gewertet werden. Die Art und Weise, wie man Erfahrungen macht und interpretiert, wie man sich in einem gesellschaftlichen Rahmen verhält, verändert sich durch die Annahme einer anderen Religion.

Konversionserzählung als Nachweis für den Wandlungsprozess

Ein weiteres wichtiges Merkmal der Konversion, welches in der Forschung eine wesentliche Rolle spielt, ist die Konversionserzählung. Erst durch diese wird der Übertritt zur anderen Religion Wirklichkeit. Wie auch immer man seinen religiösen Wandel nach außen darstellt. Ob man ein Buch veröffentlicht, in einer Fernsehsendung auftritt, ein Video im Internet präsentiert oder einfach jemandem „seine Geschichte” erzählt, immer geht es darum, seine neue Identität als Konvertit zu verdeutlichen. Die Präsentation der eigenen Lebensgeschichte als letzter Schritt der Konversion weist die Glaubwürdigkeit des Wandlungsprozesses nach. Dadurch erlangt man die Anerkennung der neuen Gemeinschaft und grenzt sich von der alten ab. „Konvertit ist in letzter Konsequenz derjenige, der als Konvertit redet”, schrieb Monika Wohlrab-Sahr 2003. Sie weist allerdings darauf hin, dass noch andere Wandlungsnachweise erbracht werden können. Dazu gehören alle Elemente der Lebensführung, denen in der neuen Glaubensgemeinschaft eine symbolische oder praktische Bedeutung zukommt. Zum Beispiel bestimmte Arten der Kleidung können eine Zugehörigkeit zur neuen Gemeinschaft ausdrücken. Dies ist übrigens nicht nur bei muslimischen Konvertiten anzutreffen, sondern auch bei anderen religiösen Gruppierungen.
Eine Grundfrage der Forschung war in der Vergangenheit, ob ein Mensch, der den Glauben wechselt, in einer aktiven oder einer passiven Rolle ist. Entweder er ist tatsächlich selbst auf der Suche und beschäftigt sich intensiv mit der Religion, oder der Glaube ist etwas, was ihm geschieht, ohne dass er selbst etwas dazu beiträgt. Die Vorstellung von dem passiv Bekehrten, die auch eine Bekehrung durch eine Art „Gehirnwäsche” einschließt, wird aber heutzutage von den meisten Forschern abgelehnt. Den Konvertiten passiert die Bekehrung nicht, sondern sie gestalten die Auseinandersetzung mit religiösen Themen selbst. Der Konvertit wird als aktiv Suchender gesehen. Uta Sternbach, Mitarbeiterin des Erfurter Projektes „Mobilisierung von Religion in Europa”, stellte in ihren Interviews mit Konvertitinnen zum Islam fest, dass beide Formen vorhanden waren. Sie sagte: „Einige der Frauen stellen den Islam und ihren Übertritt zu dieser Religion als rational dar – sind also aktiv Suchende. Auf der anderen Seite gibt es auch Frauen, die ein Bekehrungserlebnis schilderten, also eine eher passive Rolle einnahmen.”

Ursachen der Konversion stehen im Mittelpunkt der Forschungen

Besonders interessieren sich die Konversionsforscher für die Motive beziehungsweise die Ursachen der Annahme einer anderen Religion. Die Forschung findet sehr viele rationale Erklärungsansätze. Dabei darf aber eine wahrhaftige religiöse Suche nicht vergessen werden. Bei all den sachlichen soziologischen oder religionspsychologischen Erklärungen sollte man die emotionale Seite der Religion nicht außer Acht lassen. Man kann nicht für alle Konvertiten von einem gemeinsamen Konversionsmotiv ausgehen. Was sich jedoch bei vielen Untersuchungen herauskristallisiert hat, ist das Zusammenspiel von einer Krisenerfahrung und einer intensiven Beziehungserfahrung. Sebastian Murken, ein Religionspsychologe, hat Untersuchungen zu Konversionen in neuen religiösen Bewegungen, wie zum Beispiel den Pfingstgemeinden oder Hare Krishna, durchgeführt. Er betont die Bedeutung der Beziehungserfahrungen. Oft komme der erste Kontakt zu einer neuen Religion über Beziehungen zustande. Die Ausstrahlung, Glaubensgewissheit und Ideale dieser Personen wecke das Interesse für den Glauben und ziehe häufig auch eine intensive Gruppenerfahrung, ein Gefühl von „Zuhause” nach sich.
Viele Forschungsansätze gehen davon aus, dass die Konversion der Bewältigung von Lebenskrisen dient. Auch Monika Wohlrab-Sahr untersucht Konversionsprozesse aus dieser Perspektive heraus. Sie stellt die Frage, warum die Konversion biografisch Sinn macht oder welche Funktion sie im Lebenslauf der Person erfüllt. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten hat Wohlrab-Sahr Konversionen zum Islam in Deutschland und den USA untersucht. Sie hat als Ergebnis drei Problembereiche herausgearbeitet, in denen es zu Konversionen kommen kann. In Ihren Ausführungen betrachtet sie den Problembereich der Geschlechterverhältnisse und der Sexualität, den Bereich der sozialen Mobilität und den Bereich der Nationalität oder Ethnizität.
Wenn eine Person eine persönliche Entwertung im Bereich der Sexualität erfährt oder wenn Menschen durch die Auflösung der Geschlechterrollen verunsichert sind, dann könne der Islam den Charakter einer Religion der Moral haben. „Mit der Einführung neuer Grenzen, Regeln und Interpretationen wird eine neue Ordnung errichtet, die mit einer Aufwertung der Person verbunden ist”, so Wohlrab-Sahr. Durch die Konversion zum Islam wird in diesem Problembereich also eine Geschlechtsehre eingeführt. Den Islam kann man nach Wohlrab-Sahr aber auch als Religion der Disziplin verstehen. Wenn man Erfahrungen des Scheiterns oder des Verlustes von Anerkennung macht, diene die Konversion zum Islam als eine Stabilisierung. Man könne durch den Islam seine Lebensführung methodisieren. Als dritten Problembereich beschreibt Wohlrab-Sahr schließlich den Erfahrungskomplex der Zugehörigkeit. In dem Zusammenhang spielen nationale oder ethnische Identitäten eine Rolle, über deren Kriterien ein Ausschluss aus der Gesellschaft bestimmt wird. Hier diene der Islam als symbolische Emigration oder als symbolischer Kampf. „Der Islam hat dabei den Charakter einer Ideologie, die zur symbolischen Emigration aus dem oder zum symbolischen Kampf gegen den vertrauten Kontext genutzt werden kann”, so Wohlrab-Sahr. Gleichzeitig wird über die Identität als Muslim oder Muslima eine Zugehörigkeit geschaffen, welche die gesamte Gemeinschaft der Gläubigen umfasst. Diesem Problembereich kann auch die Konversion als gegenkultureller Entwurf zugeordnet werden. Menschen, die sich der deutschen oder – weiter gefasst – der westlichen Gesellschaft nicht mehr zugehörig fühlen, suchen sich Alternativen, welche sie im Buddhismus, im Islam oder anderen außereuropäischen Religionen finden. Wohlrab-Sahr weist hier auf das Konzept des „Unbehagens in der Kultur” hin. Sie schreibt, dass der Wert der anderen, fremden Kultur oder Religion aus der „Abstoßungskraft der eigenen Kultur” resultiert. Nach den Deregulierungstendenzen der 1960er und 1970er Jahre seien die Konversionen zum Islam als renormierende Reaktionen zu verstehen. Das heißt, es werden wieder Regeln im Bereich der Lebensführung und nicht zuletzt in der Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses geltend gemacht. Wohlrab-Sahr weist allerdings auch darauf hin, dass die kulturelle Regellosigkeit nur dort Auswirkungen hat, wo auch in der individuellen Biografie Grenzverluste bedeutend sind.
Auch in dem Forschungsansatz von Wohlrab-Sahr wird die Religion also als Strategie zur Problemlösung verstanden. Die Konvertiten stellen aber keine strategischen Überlegungen an, wenn sie beginnen, sich mit einer Religion zu beschäftigen. Vielleicht werden sich die Konvertiten erst im Laufe der Auseinandersetzung mit einer neuen Religion bewusst, welche Probleme sich in ihrem Leben ergeben haben. Sie betrachten ihr eigenes Leben aus einer anderen Perspektive. Dies führt dann zu der schon erwähnten Neuordnung von neuen und alten Inhalten. Fragen wie „Was war früher wichtig im Leben und wo liegen jetzt die Prioritäten?” stehen im Mittelpunkt der Konversion.
Ein Thema, welches auch die Konversionsforscher beschäftigt, ist die Frage, warum man aus der Vielzahl von Strategien zur Problembewältigung ausgerechnet den Weg der Konversion wählt. Wenn man Angst hat zu scheitern oder negative Beziehungserfahrungen verarbeiten muss, könnte man auch eine Therapie machen. Andere Menschen wenden sich als Problemlösung dem Alkohol- oder Drogenkonsum zu. Worin sich hier die meisten Forschungsansätze ähneln, ist der Erstkontakt mit der Religion. Der Grund, aus dem sich Menschen der Religion zuwenden, resultiert wahrscheinlich eher aus zufälligen Begegnungen mit religiösen Menschen, die das Interesse wecken. Den Weg, den Konvertiten nach dem Übertritt in eine neue Religion nehmen, wird ganz entscheidend von ihren Erfahrungen vor der Konversion mitbestimmt. Wenn ein Konvertit schon vor der Konversion die Erfahrung gemacht hat, dass er von der Gesellschaft abgelehnt wird, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er sich eine neue Identität und damit eine neue Zugehörigkeit sucht – sei es in der Religion oder zum Beispiel auch in einer radikalen Vereinigung. In dieser Hinsicht hat die Umgebung einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen eines Menschen.
Michael Muhammad Abduh Pfaff bemerkt außerdem, dass bei einigen der Konvertiten, welche sich aus persönlichem Interesse mit dem Islam beschäftigen, das Ausgangsmotiv in einer Solidarität mit den „Unterdrückten” besteht. In dieser Gruppe finden sich laut Pfaff viele Globalisierungsgegner und Kritiker eines westlichen Imperialismus. Die Zahl der für extremistische Ansichten empfänglichen Konvertiten schätzt Pfaff als äußerst gering. Voraussetzung sei meist eine extremistische Eigenschaft, die diese Personen auch in anderen Gruppen zu extremen Positionen geführt hätte. Besonders gefährdet seien diese Personen, wenn weder ein familiäres noch ein “spirituelles” Netzwerk diese Menschen auffangen und mäßigend einwirken könne. „Hier sind insbesondere auch die Moscheen gefordert, sich zu öffnen und Konvertiten ein deutschsprachiges Angebot zu machen”, erläutert Pfaff.
Die Annahme einer Religion, auch wenn sie uns noch so fremd erscheinen mag, hat nicht ausschließlich negative Auswirkungen. Vielmehr ist es so, dass Religion vielen Menschen hilft, ihr Leben zu stabilisieren. Sie sehen einen neuen Sinn in ihrem Leben. Hier wie auch in anderen Zusammenhängen ist die Gesellschaft gefordert, darauf zu achten, dass niemand ausgegrenzt wird. Erst durch die Ausgrenzung werden Menschen gezwungen, sich Gruppierungen zuzuwenden, bei denen sie eine Zugehörigkeit finden. Man muss dafür sorgen, dass sich Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, wie Islam, Buddhismus oder neue christliche Bewegungen, in der Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühlen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie sich von der Gesellschaft abgrenzen.




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