Maulid / Mevlit II

Der zentrale Teil von Süleyman Tschelebis (türk. Süleyman Çelebi) „Maulud”, des beliebtesten religiösen Gedichts in der Türkei, erzählt die Geburtsgeschichte des Propheten Muhammad (as) nach seiner Mutter Amina. Sie erzählt voller Staunen, was ihr am Ende ihrer Schwangerschaft geschah (hier in deutscher Übersetzung):

Maulud am Maulid-Kandil

Amina Khatun, Muhammads Mutter rein –
Diese Muschel, sie gebar die Perle fein!
Als von Abdallah sie ein Kind empfing,
Kam die Zeit herbei, und Tag und Stunde ging.
Als das Kommen Muhammads nun nahe war,
Zeigten sich zuvor gar viele Zeichen klar.
Jene Nacht des Monats Rabi ul-evvel,
Jene zwölfte Nacht, die zwölfte Nacht so hell –
Da der Menschen Bester ward geborn allhie:
Was sah seine Mutter alles! Was sah sie!
Sagte sie: „Ich sah (so sprach die Mutter rein)
Solch ein Licht – die Sonn vor ihm ein Mücklein klein!
Plötzlich leuchtend es aus meinem Hause quoll;
Bis zum Himmel war die Welt von Licht ganz voll.
Auf tat sich der Himmel, Finsternis verschwand,
Sah drei Engel ich, drei Banner in der Hand.
Der im Osten, der im Westen stand der Welt,
Einer hat sich auf der Kaaba Dach gestellt.
Stiegen denn vom Himmel Engel, Reih’ um Reih’,
Kreisten um mein Haus, als ob’s die Kaaba sei.
Legten sie dann in die Luft ein Lager fein
Aus Brokat – es breitete ein Engel rein.
Als ich all die Dinge deutlich vor mir sah,
Ganz voll Staunen und in Verwirrung blieb ich da.
Plötzlich spaltete die Wand sich, und sofort
wurden sichtbar auch drei Huris mir alldort.
Mancher sagt, dass einer dieser holden Drei
Asiye, ganz wunderschön, gewesen sei.
Eine war Maria, das war deutlich klar,
Und die dritte eine zarte Huri war.
Kamen die drei Mondgesicht’gen liebreich an,
Boten ohne Zögern mir den Gruß sodann,
Kamen her und setzten sich im Kreis um mich,
Fröhlich um Muhammads Geburt verkündend sich.”
Sagten sie: „Ein Sohn wie deiner, solcher Art
Kam zur Welt nicht, seit die Welt erschaffen ward!
Einen Sohn wie deinen, herrlich – so wie ihn
Hat der Mächt’ge keiner Mutter noch verliehn.
Höchstes Glück war dir, o Liebliche erkoren,
Dass von dir der Schöngeschaff’ne wird geboren!
Der da kommt, wird Fürst des Gotteswissens sein;
Der da kommt, wird Einheits-, Kenntnisquelle sein.
Seinetwillen drehte sich der Sphären Kreis,
Sein Gesicht ersehnen Mensch und Engel heiß!
Heute ist’s, da dieser Edle in der Nacht
Alle Welt mit hellem Lichte lieblich macht.
Diese Nacht macht er zum Paradies die Welt,
Diese Nacht erbarmt der Herr sich seiner Welt!
Ist Erbarmen für die Welten Mustafa,
Ist der Fürsprech für die Sünder Mustafa!”
So beschrieben sie sein holdes Wesen ganz,
So erweckten Sehnsucht sie nach jenem Glanz.
Amina sprach: „Als die Zeit vollendet ward,
Dass zur Welt kam aller Menschen Bester zart,
Dürstete von starker Hitze ich so sehr –
Reichten sie ein Glas gefüllt mit Scherbet her.
Da ich trank, verging mein Körper ganz in Licht,
Konnt mich selbst vom Lichte unterscheiden nicht.
Kam ein weißer Schwan geflogen schwingenweich,
Meinen Rücken streichelt’ er ganz stark sogleich.”

(Anm.: Wenn dieser Vers gesungen wird, berührt jeder Zuhörer sanft den Rücken seines Nachbarn.)

Ward der Glaubensfürst gebor’n zu jener Stund –
Ganz in Licht versanken Erd’ und Himmelsrund.
Was geschaffen, wurde alles freudenreich,
Gram verging, die Welt fand neues Leben gleich.
Alle Stäubchen in der Welt – mit Freudenschrei
Riefen sie zusammen all: Willkommen sei!
Sei willkommen, hoher Fürst, sei uns gegrüßt!
Sei willkommen, Weisheitsbergschacht, sei gegrüßt!
Sei willkommen, Buchs Geheimnis, sei gegrüßt!
Sei willkommen, Schmerzensheilung, sei gegrüßt!
Sei willkommen, Gottes Mond- und Sonnenlicht!
Sei willkommen, der von Gott getrennt du nicht!
Sei willkommen, Schönheitsgartens Nachtigall,
Sei willkommen, Freund des Herrn der Mächte all!
Sei willkommen, Zufluchtsort des Volkes dein!
Sei willkommen, der du heilst der Armen Pein!
Sei willkommen, ew’ge Seele, sei gegrüßt!
Sei willkommen, Schenk der Liebenden, gegrüßt!
Sei willkommen, du des Freundes Augenstern!
Sei willkommen, sehr Geliebter du des Herrn!
Sei willkommen, du Erbarmung für die Welt!
Sei willkommen, du der Sünder Fürsprachheld!
Sei willkommen, Fürst der Welten hier und dort –
Nur um dich ward ja geschaffen Zeit und Ort!
Sonnenschöner, leuchtend helles Mond-Gesicht!
Wieviel Tiefgestürzten bist du Stütze nicht!
Bist die Stütze ach wie vielen, die da fallen,
Zufluchtsort von Sklaven und von Freien allen!
O du Heilung für der Herzen bittren Schmerz,
O du König des Geschaff’nen allerwärts!
Du bist jener Fürst der sämtlichen Propheten,
Augenlicht der Heil’gen, aller die da beten –
O du Siegel auf der Gottessendung Thron!
O du Siegel vom Prophetenpetschaft schon!
Denn dein Licht macht diese Welt zum hellen Tag,
Deine Schönheit macht die Welt zum Rosenhag.
O Freund Gottes, lass uns Hilfe angedeih’n!
Deine Huld erquick’ mein letztes Stündelein!

Quelle: Annemarie Schimmel: Und Muhammad ist Sein Prophet. Die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit. Düsseldorf, Köln: Diederichs Verlag 1981




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