Das „goldene Zeitalter” des Islam

Viele Muslime bezeichnen die wenigen Jahre von 632 bis 661 (10 bis 40 H.) als das „goldene Zeitalter” des Islam. Das ist der Zeitraum, in dem die vier so genannten rechtgeleiteten Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali herrschten.

Aus einem nicht rein religiösen Blickwinkel betrachtet, kann eher der lange Zeitraum zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert als das „goldene Zeitalter” des Islam betrachtet werden.
Denn das ist der Zeitraum eines großen kulturellen Aufschwungs, in der Sprach- und Geschichtswissenschaft, Philosophie, Naturwissenschaften, Baukunst und Medizin in der islamischen Welt blühten. Avicenna (Ibn Sina) und Averroes (Ibn Ruschd) sind neben vielen anderen auch heute noch in Europa bekannte bedeutende Vertreter dieser Zeit.

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(Ibn Sīnā, 980–1037, al-qānūn fī ṭ-ṭibb, Kanon der Medizin)

Eine besondere Rolle kommt in dieser Epoche dem muslimischen Spanien zu, in dem Juden, Christen und Muslime in relativer religiöser und multikultureller „Toleranz” leben konnten. Juden und Christen, die so genannten Dhimmis, wurden mit eingeschränktem Rechtsstatus geduldet. Über das muslimische Spanien gelangte das Wissen der Muslime nach Europa.

Mit der christlichen Reconquista wurden nicht nur Muslime aus Spanien vertrieben. Viele Juden fanden damals Aufnahme im muslimischen Osmanischen Reich, in dem sie ihre Religion weiterhin ausüben konnten. Vielen Türken gilt das Osmanische Reich als Höhepunkt islamischer Kultur.

In der kulturellen Blütezeit der islamischen Welt wurzelt das Überlegenheitsgefühl der Muslime gegenüber dem Westen. In den Kreuzzügen trafen die “Franken”, wie die Europäer des Mittelalters genannt wurden, auf eine Zivilisation, die der ihren eindeutig überlegen war.

Dann aber verschoben sich die Akzente. Die Europäer begannen mit der Renaissance, sich für Wissenschaften, Philosophie und Technik zu interessieren und sie weiterzuentwickeln, während die islamische Welt stagnierte, so lautet eine weit verbreitete Interpretation.

Symbolisch für diese Stagnation sei die Schließung der “Tore des Idschtihad”. “Idschtihad” ist ein Begriff aus dem islamischen Recht, der eigentlich “Anstrengung” bedeutet. Gemeint ist damit die spezielle Form der islamischen Rechtsfindung.

Statt sich wie zuvor mit anderen Einflüssen auseinanderzusetzen, kapselte sich die islamische Welt der Stagnationstheorie zufolge ab und erstarrte im Gefühl ihrer Überlegenheit in Tradition, bis sie im 19. Jahrhundert erneut mit dem nun überlegenen Westen konfrontiert wurde.

Felsendom
(Die goldene Kuppel der qubbatu ṣ-ṣaḫra, Felsendom in Jerusalem)

Neuere wissenschaftliche Ansätze stellen die Stagnationstheorie infrage. Die “islamische Welt” ist auch im 21. Jahrhundert weiterhin auf der Suche nach eigenen Wegen.




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